Berliner Gedenkfeierlichkeiten zum 85. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs
01.09.2024
1. Britischer Soldatenfriedhof im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
Gemeinsam mit dem Verteidigungsattaché organisierte die polnische Botschaft eine Gedenkfeier auf dem Britischen Soldatenfriedhof in Berlin-Charlottenburg. Neben Commonwealth-Soldaten fanden dort auch polnische Soldaten die letzte Ruhe – auf den Gräbern von 5 Angehörigen der polnischen Luftstreitkräfte der 300. Staffel „Ziemia Mazowiecka“ wurden Blumen niedergelegt und Lichter angezündet.
Die Rede von Geschäftsträger a.i J. Tombiński:
"Der mit dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 ausgelöste Weltkrieg forderte weltweit rund 60 Millionen Opfer. Eine Zahl, die man sich kaum vorstellen kann. Es handelte sich dabei aber nicht um abstrakte Zahlen; es waren Menschen, mit ihrer Identität und Würde, mit ihren Kenntnissen und Leidenschaften.
Es gab kein anderes Land, dessen Schicksal von dem Zweiten Weltkriegs ähnlich tief geprägt wurde. Deutschland und die Sowjetunion, verbündet durch den Hitler-Stalin-Pakt, besetzten und verwüsteten Polen. Seine Bevölkerung litt unter zwei verbrecherischen Totalitarismen, dem nationalsozialistischen und dem kommunistischen. Mehr als 6 Millionen polnische Bürgerinnen und Bürger kamen während des Zweiten Weltkriegs ums Leben. Leider hatte das Ende des Krieges für Polen eine bittere Folge: Erst nach 1989 befreite sich Polen von der sowjetischen Vormundschaft.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Heute, fünfundachtzig Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, verwüstet der russische Angriffskrieg die nachbarschaftliche Ukraine. Seit neunhundertzwanzig Tagen sind Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern der Grausamkeit des Krieges ausgesetzt. Und in ihrem Widerstand verteidigen die Menschen der Ukraine auch unseren Frieden und unsere Freiheit. Demgemäß muss der ukrainische Sieg, die Wiederherstellung der territorialen Integrität und die Bewahrung ihrer Souveränität, zu unserem gemeinsamen Anliegen werden.
Diesem Ziel dienen Allianzen und die Solidarität. Im Juli hat das Nordatlantische Bündnis seine Verpflichtungen zur kollektiven Verteidigung bekräftigt. Unsere Antwort auf die Gefahr soll in der Stärkung der Verteidigungskapazitäten und in der Zusammenarbeit unter den Verbündeten bestehen. Falsch verstandener Pazifismus ist keine Antwort auf die Gewalt. Im Mai 1938 formulierte der französische Politiker und Journalist Marcel Déat den Slogan: Mourir pour Dantzig – Non!. Zwei Jahre später wurde Frankreich zum Opfer des deutschen Angriffes. Appeasement policy kann nur dann wirken, wenn alle Seiten loyal mithandeln.
Die vom Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete Politik der „Zeitenwende“ bedeutet eine Neudefinition der Grundlagen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, insbesondere was die Ostflanke anbelangt. Daraus ergibt sich eine Chance zur Stärkung der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Im Rahmen des neu belebten deutsch-polnischen Dialogs bekommt die Sicherheit höchste Priorität.
Die Stärkung der Sicherheitspolitik der EU, ohne dass dadurch die grundlegende Rolle des Nato-Bündnisses geschwächt wird, und die intensiven Kontakte im Weimarer Format dienen der allgemeinen europäischen Friedensarchitektur.
Die russische Invasion hat dramatische Auswirkungen auf das Schicksal des ukrainischen Volkes. Die Unterstützung, welche die internationale Gemeinschaft der Ukraine bisher gewährt hat, spielte die entscheidende Rolle beim Aufhalten der russischen Aggression. Es müssen aber weiterhin konzertierte Anstrengungen zur Unterstützung der Ukraine und zur Schwächung der russischen Kriegskapazitäten unternommen werden. Wir dürfen dem Leid der ukrainischen Bevölkerung nicht gleichgültig zusehen, denn niemals darf sich das Unrecht stärker als das Recht erweisen.
Wir sollten uns darüber hinaus nicht von den strategischen Entscheidungen der Ukraine abwenden lassen und weiterhin auf den Beitrittsprozess der Ukraine zur Europäischen Union hinarbeiten. Eine souveräne und wohlhabende Ukraine, verankert in der EU und in der Nato, stellt die beste Antwort auf die imperialistischen Bestrebungen Russlands dar.
Von diesem Ort, dem Soldatenfriedhof in Berlin, soll ein Appell zur weiteren Stärkung des internationalen Völkerrechts ausgehen. Die Kriegsverbrecher und ihre Befehlshaber müssen vor Gericht gebracht werden und dürfen der Verantwortung für ihre Taten nicht entgehen. Auch für die Kosten des Wiederaufbaus der Ukraine muss Russland aufkommen. Kein Frieden wird dauerhaft sein ohne Gerechtigkeit. Hier gilt die bekannte englische Formel: Justice must not only be done but must also be seen to be done.
Meine Damen und Herren,
an diesem besonderen Tag gedenken wir der Opfer des Zweiten Weltkriegs. Der Friede dieses Ortes lässt mich in meine Gedanken auch all jene Menschen einschließen, die ihr Leben für ein Europa ohne Diktaturen geopfert haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit und Ihre Aufmerksamkeit!"
Danach folgten Ansprachen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, K. Wegner, des Ministerpräsidenten von Brandenburg, Dr. D. Woidke und des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Dr. T. Lindner. Die deutschen Redner verwiesen auf die tragischen Folgen des Zweiten Weltkriegs, insbesondere für Polen, und auf die Bedeutung von Frieden und Versöhnung.
Zum Gedenken an die Gefallenen wurden Kränze niedergelegt, unter anderem im Namen der Chefin des Bundespräsidialamtes D. Dinter (W. Silbermann) und der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien C. Roth (M. Bering), der CDU-Fraktion (D. Stettner) und der Fraktion der Partei Die Linke (T. Schulze) im Berliner Abgeordnetenhaus. Darüber hinaus wurden Kränze von 10 Vertreterinnen und Vertretern des Diplomatischen bzw. des Militärischen Korps, von dem Pilecki-Institut sowie von auslandspolnischen Organisationen niedergelegt. Die Gedenkfeier fand in Begleitung polnischer und deutscher Soldatinnen und Soldaten statt.
2. Denkmal des polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten im Volkspark Friedrichshain
Die Kranzniederlegung am Denkmal für den polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten im Volkspark Friedrichshain fand in Anwesenheit der Bezirksverwaltung statt. In einer Pressemitteilung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg wurde auf den Jahrestag des Kriegsausbruchs und die Gedenkfeier am Denkmal hingewiesen.
3. Standort der ehemaligen Kroll-Oper in Berlin-Mitte
Traditionell veranstaltete das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt in Zusammenarbeit mit der geschichtswissenschaftlichen Projektkoordination des Deutsch-Polnischen Hauses Dr. A. Wierzcholska und Dr. R. Parzer, eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges am Standort der ehemaligen Kroll-Oper. An der Zeremonie nahmen Bundesaußenministerin A. Baerbock, Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien C. Roth, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas U. Neumärker, Direktor des Deutschen Polen-Instituts P. O. Loew, Bundesaußenminister a.D. H. Maas und Berlins stellvertretende Bürgermeisterin F. Giffey teil. Die polnische Seite wurde durch Botschafter J. Tombiński vertreten.
Außenministerin A. Baerbock verwies in ihrer Rede auf zwei Symbole in den deutsch-polnischen Beziehungen - die Person des W. Bartoszewski und die Oderbrücke zwischen Słubice und Frankfurt (Oder). Sie erinnerte daran, dass W. Bartoszewski die Gefangenschaft im KZ Auschwitz überlebte, am Warschauer Aufstand teilnahm und nach 1990 einen hervorragenden Beitrag zu der deutsch-polnischen Versöhnung leistete. Sie zitierte auch seine Worte als polnischer Außenminister, wonach Polen und Deutsche keine Feinde mehr sein dürften, sondern Nachbarn werden sollten. 20 Jahre nach dem Beitritt Polens zur EU sei Bartoszewskis Traum, so Ministerin Baerbock, Wirklichkeit geworden, und wir seien „Nachbarn und Freunde“, die gemeinsam Europa, einschließlich der Ukraine, verteidigen. Ein Beweis für die fruchtbare Zusammenarbeit sei die Partnerschaft zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice, wo man in den Schulen Polnisch und Deutsch unterrichte sowie gemeinsame Polizeistreifen organisiere, wo tagtäglich Tausende von Menschen die Grenze in beide Richtungen überqueren. Die Bundesaußenministerin betonte die Bedeutung einer gemeinsamen Vergangenheit, insbesondere in Berlin, wo die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs ihren Anfang nahmen. „Was wir wollen und woran wir arbeiten, ist daher ein dauerhaftes und sichtbares Denkmal“, so Ministerin Baerbock, das an das Leid der polnischen Opfer der deutschen Besatzung erinnere. Sie versicherte, dass es an einem zentralen Ort in Berlin entstehen werde. Rede von Außenministerin Annalena Baerbock auf der Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen - Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de)
Staatsministerin für Kultur und Medien C. Roth:
"Am 1. September 1939 bekam der 16 Jahre alte jüdische Schüler Mordechai Papirblat (ausgesprochen wie geschrieben) ein Gespür für den Untergang. Als deutsche Bomber Warschauer Wohnhäuser in Schutt und Asche legten und die Straßen sich mit Leichen füllten, begriff Mordechai schlagartig, dass sein vertrautes Leben ausgelöscht und sein künftiges Leben nicht mehr als eine Hoffnung war. In einem Treppenhaus hatte sich ein Bombensplitter nur wenige Zentimeter vor ihm und seinem Vater in eine Wand gebohrt. Minuten später hörten sie im Radio, ganz Warschau stehe in Flammen. So hatte für den jungen jüdischen Polen am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begonnen. Vor 85 Jahren. Als er zu Ende war, lagen große Teile Europas in Trümmern, allein weit mehr als fünf Millionen Polen hatten ihr Leben verloren, darunter die gesamte Familie Papirblat. Nur Mordechai hatte überlebt – das Warschauer Ghetto, 900 Tage in Auschwitz und den Todesmarsch.
Meine Damen und Herren,
wir erinnern heute nicht nur an den Beginn des Eroberungs- und Vernichtungskriegs der deutschen Wehrmacht, der vor 85 Jahren mit dem Überfall auf Polen begann.
Wir erinnern auch an den Warschauer Aufstand, den die Armia Krajowa (Ármi-a Kra-jÓwa) vor 80 Jahren am 1. August 1944 wagte, als etwa 50.000 kaum bewaffnete Widerstandskämpfer der Polnischen Heimatarmee gegen die deutschen Truppen aufbegehrten. Nach 63 Tagen erbitterter Kämpfe kapitulierte sie am 2. Oktober 1944. Die blutige Niederschlagung des Aufstands kostete zwischen 150.000 und 200.000 Menschen das Leben. Zehntausende wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland und in Konzentrationslager deportiert, darunter Frauen und Kinder. Und Warschau, Polens Hauptstadt und Herzstück, wurde auf Befehl Heinrich Himmlers dem Erdboden gleichgemacht. Mit Flammenwerfern und Sprengsätzen zerstörten deutsche Soldaten Haus für Haus, vor allem historisch bedeutende Bauwerke und Kirchen, auch die Reste des stark beschädigten Königsschlosses.
Wer Bilder dieser Zerstörung sieht, kann kaum mehr eine Stadt erkennen, vergessen wird er das Grauen, das an ihre Stelle getreten ist, nie mehr. Es steht für die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und das Leid Polens, das wir nicht vergessen dürfen, auch um unser selbst willen. Wir schulden Polen die Erinnerung. Und wir schulden unserem nächsten Nachbarn die Auseinandersetzung mit unserer gemeinsamen Geschichte. Nur Ehrlichkeit mit uns selbst wird das Verhältnis mit Polen stärken und die Versöhnung vertiefen. Dazu gehört, immer wieder zu erklären, was zwischen 1939 und 1945 in Polen geschehen ist. Das ist auch deshalb wichtig, weil die Folgen des deutschen Vernichtungskrieges bis heute nachwirken. Und wichtig bleibt, was uns Marian Turski aufgetragen hat, wachsam zu sein und zu erkennen, dass „Auschwitz nicht plötzlich vom Himmel fiel, Auschwitz schlich in kleinen Schritten heran, bis geschah, was hier geschah“.
Auf Beschluss des Deutschen Bundestags vom Oktober 2020 wird nicht nur endlich ein Ort der Erinnerung an dieses Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte entstehen, es wird neben dem symbolischen Gedenken auch ein gemeinsames Haus entstehen, ein Haus, in dem Deutsche und Polen sich begegnen, zu neuer Nähe und Verständnis füreinander finden sollen.
Das geplante Deutsch-Polnische Haus wird ein Haus der Geschichte sein, doch gewidmet ist es unserer gemeinsamen Zukunft in Europa. Aussöhnung braucht diese Verständigung über die gemeinsame Geschichte. Genau dazu soll das Deutsch-Polnische Haus anregen: zum Erinnern, zum Austausch, zum Gespräch, zur Begegnung, zum Kennenlernen – nicht nur der Geschichte, sondern auch der Gegenwart und zu einem Nachdenken über die gemeinsame Zukunft.
Der Schwerpunkt der Arbeit aber wird die Auseinandersetzung mit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg sein. Damit wollen wir ein sichtbares Zeichen der Aussöhnung und der Anerkennung des polnischen Leids setzen. Dem wird auch das sichtbare und öffentlich zugängliche Denkmal für die polnischen Opfer der deutschen Aggression dienen, das zum geplanten Deutsch-Polnischen Haus gehören wird.
Mordechai Papirblat ist im Dezember 2022 im Alter von 99 Jahren gestorben. In Ausschwitz schwor er sich, seine Peiniger zu überleben. Dieses Versprechen hat er gehalten. Aber er hat nicht nur überlebt. Aus dem Opfer Papirblat wurde der Zeitzeuge Papirblat. Seit den 90er Jahren hat er sein Wissen mit den Nachgeborenen geteilt, hat in Schulen, auch in Deutschland Jugendlichen vom Grauen in Auschwitz berichtet, und er hat ein Buch geschrieben: „900 Tage in Auschwitz“, ein Protokoll des großen Schreckens und der kleinen Hoffnung. Aber Papirblat ist - wie fast alle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen – verstummt. So wertvoll ihre Stimmen waren und bis heute sind, so schmerzlich werden sie uns künftig fehlen.
Polens früherer Außenminister Władysław Bartoszewski (Wwadiswaw Bartoschewski), auch er ein Auschwitz-Überbelebender und Kämpfer im Warschauer Aufstand, hat uns in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag am 28. April 1995 daran erinnert, dass “die Beziehungen unserer Völker und Staaten eine europäische Dimension erlangt haben. Unsere Nachbarschaft“, so Bartoszewski, „wird in hohem Maße darüber entscheiden, ob und wann das geteilte Europa zusammenwachsen wird.“ Dieser Satz gilt heute mehr denn je. Ich bin überzeugt, er müsste ihn heute noch zuspitzen. Auf uns wird es ankommen. Europa, heute vor allem die Ukraine, braucht uns, Polen und Deutsche, als Partner und als Freunde.
Sie braucht unsere Solidarität und Unterstützung im Kampf gegen den russischen Aggressor, im Kampf um Selbstbestimmung, Freiheit und Demokratie!
Geschäftsträger a.i J. Tombiński verwies auf die Tragödie des Zweiten Weltkriegs und die Lehren, die wir daraus ziehen sollten. Er sagte:
"an diesem symbolischen Ort in Berlin gedenken wir der Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, schrieb Paul Celan gegen Ende des Krieges über eine Erfahrung, die Millionen in Polen in den sechs langen Jahren des Krieges und der deutschen beziehungsweise sowjetischen Besatzung machen mussten.
Unsere Gedanken richten sich heute in erster Linie an die Opfern des deutschen Angriffs auf Polen. Keine Familie blieb von dem Krieg geschont. Angst, Tod, Gewalt statt Ordnung, Flucht, Ruinen, Verlust der Angehörigen und des Vermögens,– all das bestimmte die alltägliche Realität. Der Krieg hebt alle Menschenrechte der Angegriffenen auf und reduziert sie zu Objekten der Willkür des Angreifers.
Anstatt der Schulglocke zu folgen, lauschten die Kinder am 1. September 1939 mit Angst und Bestürzung den Alarmsirenen. Und alle fragten sich, warum Menschen den Menschen ein solches Schicksal bereitet hatten, wie es die polnische Schriftstellerin Zofia Nałkowska treffend formulierte.
Deshalb wiederholen wir am 1. September Jahr für Jahr die Worte: Nie wieder Krieg. Nie wieder Verachtung des Menschen, seines Rechts auf das Leben. Nie wieder Hass und Gewalt zwischen Staaten und Nationen.
Der Mensch scheint aber unbelehrbar.
Der seit dem 24. Februar 2022 andauernde Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine bringt jeden Tag neue Opfer, Grausamkeiten und Zerstörungen. Millionen der ukrainischen Familien suchten Zuflucht im Ausland. Auf den Soldatenfriedhöfen, die man in der Ukraine Felder des Mars nennt, werden jeden Tag neue Leichen bestattet. Mit meinen Gedanken bin ich heute auch in der Ukraine, wo ich vor einigen Jahren als EU-Botschafter tätig war.
Zur Erinnerung an den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 gehört nicht zuletzt die Frage, was wir heute, Jahrzehnte später, tun können, um unsere historische Versöhnung in eine universelle Botschaft zu verwandeln. Wir dürfen keine Banalisierung des Krieges zulassen. Hass und negative Stereotype müssen wir entschlossen und bereits im Keim bekämpfen.
Mannigfaltig ist das Instrumentarium des Hasses und die Sprache spielt dabei eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Der Umgang mit der Sprache in der Öffentlichkeit benötigt deshalb eine ständig wache Aufmerksamkeit, denn die Worte gestalten die Denkweise. Man darf nie davor zurückschrecken, das Wort gegen die Hasssprache zu ergreifen, denn: „Nicht zu sprechen ist sprechen. Nicht zu handeln ist handeln“ (D. Bonhoeffer).
Sehr geehrte Damen und Herren,
Für den Bau des Denkmals für die polnischen Opfer des Krieges setzte sich vor über zehn Jahren Professor Władysław Bartoszewski ein, selbst Widerstandskämpfer und Auschwitzhäftling. Er war auch einer der wichtigsten Akteure der polnisch-deutschen Versöhnung. Jahre vergehen und über das Denkmal wird nach wie vor beraten. Inzwischen sind Tausende Zeitzeugen, deren Leben der Krieg unumkehrbar ruiniert hat, nicht mehr am Leben, darunter auch Professor Bartoszewski.
Dem Denkmal soll, zusammen mit dem Deutsch-Polnischen Haus, das an diesem Ort hoffentlich entstehen wird, eine spezielle Bedeutung zukommen. Tagtäglich wird bewiesen, dass jede Initiative, die Versöhnung und Frieden zum Ziel hat, lobenswert ist. Gute Ideen kommen in die Welt dank den Menschen, doch sie überdauern dank den Institutionen.
Das Deutsch-Polnische Haus wird den neuen Generationen, für die der Krieg nur ein abgeschlossenes Geschichtskapitel darstellt, eine Gelegenheit zur Bildung und zum Nachdenken bieten. Die Opfer pflegen ihr Leid generationenlang, die Täter löschen ihre Erinnerung schnell aus.
Wir sind deshalb froh, dass Deutschland „diese Lücke in der deutschen Erinnerungskultur schließen will“, wie es Frau Ministerin Roth in einer ihrer Reden formulierte.
Das Gedenken an die Tragödie von vor über achtzig Jahren in einem universellen Mahnzeichen zu bewahren, soll zu unserem gemeinsamen Anliegen werden. Jede Missachtung der anerkannten Weltordnung und des Völkerrechts bedeutet eine direkte Gefahr auch für unsere Gesellschaften.
Miteinander sind wir, Deutsche und Polen, im Respekt vor den Kriegsopfern und im Hinblick auf das Wohl der künftigen Generationen verpflichtet, alles zu tun, um zu beweisen, dass Lehren aus der grausamen Vergangenheit gezogen wurden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit."
Nach dem offiziellen Teil wurden Blumen niedergelegt und eine Gedenktafel enthüllt, die an die Geschichte des ehemaligen Opernhauses erinnert (von 1933 bis 1942 tagte in diesem Gebäude der Reichstag, und hier hielt Hitler am 1.09.1939 seine Rede, in der er den Beginn des Überfalls auf Polen verkündete).