Botschafter Andrzej Przyłębski auf dem 5. Kongress Polenforschung
08.03.2020
Grußwort des Botschafters der Republik Polen in der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. Andrzej Przyłębski, beim 5. Kongress Polenforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, am 5. März 2020.
Magnifizenz, Prof. Tietje, sehr geehrte Frau Professorin Kleinmann, verehrter Staatssekretär Ude, liebe Frau Professorin Süssmuth, liebe Cornelia Pieper, meine sehr verehrte Damen und Herren, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses,
herzlichen Dank für die Einladung zu diesem Kongress. Diese Veranstaltung ist ein guter Beweis dafür, dass das Alexander-Brückner-Zentrum für die deutsche wissenschaftliche Welt wichtig ist, und dass es zur Popularisierung des polnischen Gedankenguts beiträgt.
Ich gratuliere zur Wahl des Themas dieses Kongresses. Gerechtigkeit ist einer der Grundwerte des menschlichen Geistes und damit – eigentlich jeder Kultur bzw. Zivilisation. Mit der Umbenennung ihrer Partei von der „Verständigung Zentrum“ zur „Recht und Gerechtigkeit“ konnten Jarosław und Lech Kaczynski einen viel größeren Zulauf erhalten und in Polen dreimal die Wahlen gewinnen. Damit trafen sie ein tieferes Bedürfnis ihrer Landsleute, eben das Bedürfnis nach dem Leben in einer gerechten Gesellschaft.
Die erneute Wahl dieser Partei vor einem halben Jahr zeigte, dass die Mehrheit der Bevölkerung Polens die Errungenschaften auf dem Weg zu einer solchen Gesellschaft zu schätzen weiß, trotz des ständigen Jammerns der selbsternannten Eliten, die die Wirklichkeit um sich herum nicht mehr verstehen können. Die unglaubliche Entwicklung der polnischen Gesellschaft gibt ihr Recht: neulich beklagen sich sogar die Spanier, dass Polen, durch sein enormes Wachstum, und zwar in vielen Gebieten, den Platz Spaniens in der EU übernimmt. Die Griechen und Portugiesen wurden von uns bereits überholt. Frankreichs Präsident Macron, in Deutschland so sehr bewundert, meldete sich neulich in Warschau mit dem Angebot einer vertieften Zusammenarbeit, zum Wohl der EU. Gerechtigkeit bleibt ein tragender Wert der EU, was im Art. 2 des Lissaboner-Vertrags bestätigt wurde.
Meine Damen und Herren!
Manche von Ihnen wissen, dass ich Philosoph bin. Einige Philosophen haben sich mit dem Thema „Gerechtigkeit“ intensiv beschäftigt, angefangen von Plato und Aristoteles. Die einflussreichste, aber nicht unumstrittene Gerechtigkeits-Theorie verdanken wir John Rawls. Die Gedanken zu diesem Thema gab es also. Und dennoch muss ich gestehen, philosophisch gesehen, ist die Gerechtigkeit ein komplizierter Begriff. Daher schlugen viele Denker vor, auf die Nutzung dieses unscharfen Begriffs vollkommen zu verzichten. Denn – so wurde argumentiert – jede versteht unter Gerechtigkeit etwas anderes. Und es steckt viel Richtiges in dieser Einschätzung. Ein Verzicht auf die Gerechtigkeit wäre dennoch eine humane Katastrophe. Daher hat einer der größten Denker des letzten Jahrhunderts, nämlich der französische Hermeneutiker und Phänomenologe Paul Ricoeur, sehr intelligent vorgeschlagen, die Gerechtigkeit nicht von der Seite dessen, was einem gerecht zu sein scheint, sondern von der empfundenen Ungerechtigkeit her zu fassen. Das heißt von einem Gefühl, das wir als Menschen empfinden, wenn wir sehen, dass jemand – ein Mensch, eine Menschengruppe, ein Volk sogar – nicht entsprechend seinen Verdiensten bzw. seinen Regelverstößen betrachtet wird. Dieses Thema habe ich in meinem Buch „Warum Polen ein Wert ist“, das in diesem Jahr in deutscher Fassung erscheint, ausführlich ausgeführt.
Das Alexander-Brückner-Zentrum ist in Deutschland ein Unikum. Ein Ort der Polen-Studien in großer Breite. Auch wenn es – im Vergleich zu den zahlreichen germanistischen Einrichtungen in Polen – ziemlich klein ist, erfüllt es eine wichtige Rolle im wachsenden Dialog zwischen Polen und Deutschland. Und bei dem Kennenlernen Polens durch die deutsche Gesellschaft. Dies ist wichtig, denn es wird von den deutschen Politikern so viel über die Bedeutung des sogenannten Weimarer Dreiecks erzählt, als der eigentlichen Achse Europas, geographisch und kulturell. Wenn man aber die deutschen Frankreich- mit den deutschen Polenkenntnissen vergleicht, sieht man eine riesige Diskrepanz. Polen ist so gut wie unbekannt und gilt als Junior-Partner, dessen Rolle darauf bestehe, den Westen nachzuholen. Auch wenn man mit bloßem Auge sieht, in welcher Krise der Westen – allen voran: Frankreich – sich gerade befindet.
Das Polen von heute ist ein gutes Exempel dafür, wie eine moderne – sagen wir ruhig: spätmoderne – Gesellschaft erfolgreich funktionieren kann, ohne der gefährlichen Postmoderne, mit ihrem Nihilismus und ihrer Atomisierung der Gesellschaften, zu verfallen. Das Exempel einer Gesellschaft, in der Kontinuität Modernisierung nicht ausschließt. Eine Modernisierung, die sich von der eigenen Kultur und Tradition – den Errungenschaften der vergangenen Generationen – weder entfremdet noch distanziert. Ganz im Gegenteil, die auf diese Errungenschaften stolz ist, anstatt sie in Abrede zu stellen.
Ich wünsche dem Kongress einen interessanten, fruchtbaren Verlauf. Mit vielen neuen Ideen, wie die Gerechtigkeit aufrecht erhalten, gerettet und entwickelt werden kann. Denn – wie bereits von mir gesagt – ein Leben in einer von der Gerechtigkeit absehenden Gesellschaft könnte gefährlich sein. Es konnte zum sozialen Zusammenbruch führen. Zu einer Revolution, die das Erreichte zerschmettern würde. Und das wünscht sich hoffentlich keiner von uns.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!