Erklärung des Außenministers Jacek Czaputowicz anlässlich des heutigen 75. Jahrestags der Befreiung des nazideutschen KZ-Systems Mauthausen-Gusen
05.05.2020
Am 5. Mai 1945 um 17 Uhr passierten amerikanische Truppen das Tor des NS-Konzentrationslagers Gusen. Am selben Tag wurde das Stammlager Mauthausen befreit. Ende April / Anfang Mai folgte auch die Befreiung der übrigen Nebenlager des Lagersystems Mauthausen-Gusen.
Der noch lebende, ehemalige Gusen-Häftling Stanisław Zalewski, erinnert an die damaligen Geschehnisse: "Die Amerikaner besetzten Gusen II am 5. Mai 1945 um etwa 17 Uhr. Einige amerikanische Soldaten liefen ins Lager hinein, und einer von ihnen schrie auf Polnisch: „Jesteśta wolni!” („Ihr seid frei!“) Es ist schwer zu beschreiben, was danach passierte. Weinen, Tränen, gegenseitiges Umarmen und „Noch ist Polen nicht verloren...“. Auch die Häftlinge anderer Nationalitäten stimmten ihre Nationalhymnen an.
Für Stanisław Zalewski, der seit 1943 Häftling von Auschwitz und Gusen war, sowie für viele andere Häftlinge, wurde ein unvorstellbarer Alptraum beendet. Vielen von ihnen war es jedoch nicht gegeben die ersehnte Freiheit zu erleben. Von den rund 190.000 Häftlingen des Lagersystems Mauthausen-Gusen wurden etwa 90.000 Menschen, Bürger aus mindestens 26 Ländern, ermordet; allein in Gusen wurden von den beinahe 78.000 Häftlingen fast 45.000 ermordet.
Gusen ist ein tragischer Ort in der dunklen Geschichte der Menschheit, vor allem für das polnische Gedächtnis, nicht nur wegen der Zahl der aus Polen stammenden Gefangenen und Opfer, sondern auch, weil ein großer Teil von ihnen gebildete Menschen waren, die in den ersten Kriegsmonaten vorsätzlich verhaftet wurden – aus diesem Grund begann man das Lager als Vernichtungslager für die polnische Intelligenz zu bezeichnen. Der Jahrestag der Befreiung von Gusen bewahrt das Gedenken aller Gusen-Häftlinge, zu denen Polen, Spanier, Staatsbürger des damaligen Jugoslawiens, der damaligen Sowjetunion, Ungarns, Frankreichs und Luxemburgs zählten. Das Lagersystem Mauthausen-Gusen ist auch ein Ort der Vernichtung Tausender polnischer und europäischer Juden.
An diesem besonderen Tag wenden wir uns an die Regierung der Republik Österreich mit dem Anliegen dringend Schritte zu unternehmen, um den Opfern des ehemaligen Lagers Gusen, dessen Gebiet seit Jahrzehnten vernachlässigt wurde, ein würdiges Gedenken zu ermöglichen. Wir hoffen auf die Umsetzung der im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen.
Polen erwartete, dass noch vor dem 75. Jahrestag der Befreiung des Lagers Gusen entsprechende Entscheidungen über den Ankauf der Überreste des Lagers Gusen aus dem Privatbesitz durch den österreichischen Staat getroffen würden. Im Verständnis der gegenwärtigen, sich aus der Pandemie ergebenden Einschränkungen, hoffen wir, dass das Lager Gusen - von den Häftlingen als "Vestibül" oder sogar "Boden der Hölle" bezeichnet wurde, ein einzigartiger Ort, aufgrund seiner tragischen Geschichte während des Krieges, des mangelnden Gedenkens in der Nachkriegszeit und der dauerhaften Präsenz im kollektiven Gedächtnis vieler Länder und Gesellschaften - endlich einen würdigen Ort der Erinnerung haben wird. Laut einer Erklärung, die der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki während seines Besuchs im ehemaligen nazideutschen KZ Auschwitz im vergangenen Dezember abgegeben hat, wird Polen in dieser Angelegenheit aktiv bleiben und ist in Anerkennung der Zuständigkeiten der Republik Österreich bereit, in Absprache mit ehemaligen Häftlingsorganisationen und den Herkunftsländern der Opfer jede Aktion für ein würdiges Gedenken durchzuführen, einschließlich des Erwerbs des Grundstücks, auf dem sich das Lager befand.
Wir werden das Leid der Häftlinge des Lagersystems Mauthausen-Gusen nie vergessen; wir sind es den Ermordeten, den Überlebenden und den künftigen Generationen schuldig. Dies ist ein wichtiger Teil des historischen Bewusstseins und des tragischen Vermächtnisses vieler Gesellschaften, Teil unseres europäischen Erbes.
Außenminister Jacek Czaputowicz